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01.12.2015 Dashcam als Beweismittel bei Klage nach Verkehrsunfall zulässig

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Das Landgericht Landshut (Az. 12 S 2603/15) hat in einem Berufungsverfahren über die Verwertung einer Aufnahme eines Verkehrsunfalles zu entscheiden und dazu in einem Hinweisbeschluss - und dann auch im Urteil - festgestellt: Dashcam als Beweismittel bei Klage nach Verkehrsunfall zulässig

Urteil

Im vorliegenden Fall wurden für den Kläger Ansprüche aus einem Verkehrsunfall gegen die unfallgegnerische Versicherung geltend gemacht. Der Kläger trug vor, dass sein Fahrzeug (Taxi) gestanden sei und der vor ihm befindliche PKW rückwärtsfahrend mit der Anhängerkupplung auf den Stoßfänger seines Fahrzeugs aufgefahren sei. Dies sei mittels der mit einer hinter der Frontscheibe installierten Dashcam, bzw. der damit aufgenommenen Filmsequenz nachweisbar. Von den Anwälten der unfallgegnerischen Versicherung wurde vorgetragen, dass das Beklagtenfahrzeug nicht rückwärts gefahren sei, dass zwar kurz der Rückwärtsgang eingelegt worden sei, aber dann doch nach vorne weitergefahren worden sei. Es habe mithin keine Kollision gegeben. Im Übrigen sei die Filmaufnahme als Beweismittel nicht zuzulassen und nicht zu verwerten, da datenschutzrechtliche Bedenken und Persönlichkeitsrechte der beklagten Autofahrerin dagegen sprechen würden. Die Beklagten beriefen sich hierbei insbesondere auf das Urteil des VG Ansbach vom 12.08.2014 (Az. AN 4 K 13.01634, einen Hinweisbeschluss des AG München (Az. 345 C 5551/14) sowie ein Urteil des LG Heilbronn vom 3.2.2015 (Az. I 3 S 19/14). Das Amtsgericht Erding (Az. 3 C 2531/15) hatte das Beweismittel „Filmsequenz aus der Dashcam“ des klägerischen Fahrzeugs nicht zugelassen und - nachdem dem Kläger andere Beweismittel nicht zur Verfügung standen, er somit beweisfällig geblieben war - die Klage hier abgewiesen. Dies u.a. mit der Begründung, dass die Anfertigung von Videoaufnahmen mittels sogenannter Dashcams ohne Kenntnis der Betroffenen grundsätzlich unzulässig sei. Das Amtsgericht Erding zitierte in diesem Urteil ausführlich die o.g. Entscheidungen.
Gegen dieses Urteil des AG Erding wurde für den Kläger Berufung eingelegt. Begründet wurde die Berufung u.a. damit, dass datenschutzrechtliche und persönlichkeitsrechtliche Bedenken hier letztlich nicht durchgreifen können. Das Urteil des VG Ansbach sei nicht heranzuziehen, da dies zur Verwertung von Dashcamaufnahmen im Zivilprozess gerade nichts aussage, das KunstUrhG sei schon gar nicht anwendbar, da eine „Zurschaustellung“ der mittels Dashcam gewonnenen Aufnahmen gerade nicht stattfinde; § 6 BDSG sei bei einem derartigen Einsatz ebenfalls nicht anwendbar; selbst wenn man zu einer Anwendbarkeit datenschutzrechtlicher Bestimmungen käme, müsse eine Abwägung der beiderseitigen Interessen der Prozessbeteiligten dazu führen, dass die Interessen des Klägers überwiegen würden, der mittels Dashcam seine „Unschuld“ am streitgegenständlichen Verkehrsunfall beweisen könne, gegenüber den Interessen des Unfallgegners, der alleine den Nachweis seiner Schadensverursachung verhindern wolle.
Das LG Landshut hat ergänzend zum Hinweisbeschluss den Sachverständigen, der in 1. Instanz die Filmaufnahme nicht auswerten und seinen Feststellungen zugrunde legen durfte mit einer erneuten Begutachtung unter Verwertung der Filmaufnahme des Unfallgeschehens beauftragt.
In dem Hinweisbeschluss vom 1.12.2015 setzt sich das Landgericht Landshut ausführlich mit den gegen die Verwertung solcherart Aufnahmen vorgebrachten Argumenten auseinander und kommt schließlich zu der Feststellung, dass die Aufnahmen aus der Dashcam verwertbar sind. Das LG Landshut stellt dazu fest: Die Frage ob Aufnahmen mittels einer Dashcam im Zivilprozess verwendet werden dürfen sei nicht Gegenstand der (vielfach zitierten) Entscheidung des VG Ansbach vom 12.8.2014 gewesen; es komme letztlich nicht darauf an, ob der Kläger gegen das Bundesdatenschutzgesetz verstoßen habe; es sei zu unterscheiden zwischen einem Beweiserhebungsverbot (etwaiger Verstoß gegen das BDSG) und dem Verbot der Verwertung des so gewonnenen Beweismittels im Zivilprozess; das Kunsturhebergesetz sei nicht anwendbar (abgesehen davon, dass die Beklagte selber weder gefilmt noch fotografiert worden sei, verbiete § 22 KunstUrhG lediglich das Verbreiten und Zurschaustellen von Aufnahmen, nicht das Fotografieren selbst); es sei zweifelhaft ob § 6 b) BDSG überhaupt anwendbar sei, denn hier beziehe sich insbesondere Abs. 2 offensichtlich auf festinstallierte Kameras (bei deren Einsatz datenschutzrechtliche Bedenken zu beachten sind); selbst ein „Beweisfilm“ aus einer Dauervideoüberwachung mittels festinstallierter Kamera müsse nicht zwingend zu einem Beweisverwertungsverbot führen. Dies jedenfalls dann, wenn durch die Überwachung weder der absolute Kernbereich der privaten Lebensführung noch die engere Privatsphäre berührt seien. Umso mehr müsse dies im vorliegenden Fall der Verwendung eine Aufnahme aus einer Dashcam gelten.
In Betracht käme, so das LG Landshut, hier allenfalls ein Beweisverwertungsverbot im Hinblick auf das allgemeine Persönlichkeitsrecht (informationelles Selbstbestimmungsrecht). Hierbei sei jedoch nicht automatisch ein Vorrang des allgemeinen Persönlichkeitsrechts dessen, der die Verwertung der Filmaufnahme verhindern wolle anzunehmen, sondern es habe eine Abwägung zu erfolgen. Nicht jeder, Grundrechte noch so gering tangierende Eingriff sei unzulässig und führe zu einem Verwertungsverbot damit gewonnener Erkenntnisse. Die -solange die Onboardkamera anlasslos läuft - zufällige und wahllose (weil alleine von der Fahrtstrecke des Fahrzeugs abhängige) Erfassung von Passanten und Verkehrsteilnehmern sei praktisch ohne Grundrechtsrelevanz, da dieses Erfassen für den Kläger mit keinem Erkenntnisgewinn verbunden sei. Relevanz würden solcherart Aufnahmen erst bekommen, wenn es zu einem Unfallereignis gekommen sei und dieses filmisch festgehalten worden sei. Nachdem es aber gang und gäbe sei (und soweit ersichtlich nicht mit ähnlichen Argumenten angegriffen) Foto- oder Filmaufnahmen von der Situation nach einem Unfall zu machen (und darauf auch regelmäßig die Unfallbeteiligten und andere Personen zu erkennen sind), diese Aufnahmen auch regelmäßig Eingang in den Zivilprozess finden, wäre es einigermaßen gekünstelt abzugrenzen ab welchem Zeitpunkt etwa unmittelbar vor einem Unfall eine Onboardkamera eingeschaltet werden dürfte.
Abschließend stellt das LG Landshut fest, dass es im Rahmen der zu treffenden Abwägung schwer zu vermitteln sei die Interessen der Beklagten an der Nichtverwertung der Aufnahmen des Unfallgeschehens höher zu bewerten als die Interessen des, ansonsten beweislosen Klägers. Das Interesse eines Beklagten, dass ein streitiger Verkehrsunfall nicht aufgeklärt werden solle sei nicht schützenswert.

Anmerkungen der Anwaltskanzlei Bauer:

Anmerkung I: Den Argumenten des LG Landshut im Hinweisbeschluss vom 1.12.2015 ist in vollem Umfange beizustimmen. Mit dieser Entscheidung dürfte auch die Diskussion um die Verwertbarkeit von Aufnahmen aus Dashcams wieder Fahrt gewinnen. Selbstverständlich sind Datenschutz- und persönlichkeitsrechtliche Argumente ernst zu nehmen. Solche Argumente können jedoch nur durchgreifen und etwa eine Verwertung von Aufnahmen mittels Dashcam hindern, wenn diese Aufnahmen - etwa gezielt - in grundrechtlich geschützte Bereiche Betroffener erheblich eingreifen. Ein solcher Fall unzulässiger Aufnahmen lag etwa der Entscheidung des VG Ansbach zugrunde, wo ein Autofahrer systematisch andere Verkehrsteilnehmer gefilmt hatte um sodann Ordnungswidrigkeitenanzeigen zu erstatten. Im Falle eines Verkehrsunfalls, wie hier, sollten solcherart Aufnahmen grundsätzlich verwertbar sein. Bessere Anknüpfungstatsachen zur Auswertung und Aufklärung eines Unfallgeschehens dürften (neben den in der Fahrzeugelektronik dazu ggf. auswertbarer Daten) für einen im Prozess zu beauftragenden Sachverständigen kaum zu finden sein. Die Folge der Verwertbarkeit solcher Aufnahmen wäre denn auch eine größere „Einzelfallgerechtigkeit“ bei Urteilen zur Haftung bei Verkehrsunfällen. Es gäbe weniger „unaufklärbare Sachverhalte“, die etwa zu einer Haftungsteilung oder bei Beweisfälligkeit zu einer Klageabweisung führen würden. Der Autor kann nur dazu raten solche – zwischenzeitlich recht preiswerten – Kameras im Auto zu installieren. Der Kaufpreis wird sich spätestens beim ersten Unfall, mehr als amortisieren, bei dem statt Klageabweisung (wie im vorliegenden Fall in 1. Instanz) oder teilweiser Schadenskompensation bei Haftungsquote ein vollständiger Schadensersatz zu erzielen ist.
Anmerkung II: In diesem Verfahren um die Zulässigkeit der Verwertung von Aufnahmen einer Dashcam als Beweismittel im Zivilprozess erging nun am 25.05.2016 das Urteil des Landgerichts Landshut. Das Dashcamvideo wurde zugelasssen. Der Sachverständige hat nach Auswertung des Videos festgestellt, dass die Unfallgegnerin rückwärts auf das Taxi des Geschädigten aufgefahren war. Dem Grunde nach bekam der Kläger also Recht, musste jedoch deutliche Kürzungen zur Schadenshöhe hinnehmen. Die Revision zum BGH wurde vom LG Landshut ausdrücklich zugelassen.

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